Ein Experten-Beitrag von Stephanie Inhuber

Wann ist stretchen bzw. dehnen richtig?

Entsprechend der jeweiligen Zielsetzung des Sportlers werden verschiedene zeitliche Betrachtungen von Dehnprogrammen unterschieden:

  • Dehnen im Rahmen eines Aufwärmprogramms
  • Dehnen nach sportlichen Belastungen
  • Langfristiges Dehnungstraining

 

Dehnen im Rahmen eines Aufwärmprogramms

Im Rahmen des Aufwärmprogramms, das als Gesamtes der Erhöhung der Körperkerntemperatur, der Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems und der Vorbereitung des Organismus auf die nachfolgenden sportartspezifischen Belastungen dient, stellen Dehnübungen einen durchaus sinnvollen Bestandteil dar. Auf ein lockeres Warm-up, im Regelfall bestehend aus Laufen, Radfahren oder Seilspringen, um den Körper auf die Bewegung einzustellen und die Gelenke zu mobilisieren, folgt zur neuromuskulären Reizsetzung eine kurze Stretching-Sequenz aus verschiedenen Dehnübungen. Die großen Muskelgruppen sollen hier gedehnt werden, wobei am besten von unten nach oben vorgegangen wird: Waden, Oberschenkelvorder- und rückseite, Gesäß, Rumpf, Schultern und Arme. Am effektivsten ist hierbei ein kurzes ca. 5-sekündiges Halten der Dehnposition im submaximalen Bereich (leichtes Zugempfinden) und direkt im Anschluss daran ein 3-5 x wiederholtes, leichtes Hineinfedern/Nachdehnen leicht in den Schmerzbereich. Grundsätzlich ist ein Andehnen der einzelnen Muskelgruppen beim Aufwärmen vollkommen ausreichend, Wiederholungen müssen nicht erfolgen und es sollte in keinem Fall zu lange gedehnt werden, um die Muskelspannung nicht herabzusetzen. Um das Aufwärmprogramm zu komplettieren, sollten nach dem Dehnen zunächst allgemeine Stabilisations- und Kräftigungsübungen und abschließend schnellkräftige Bewegungen, z.B. in Form von Steigerungsläufen durchgeführt werden.

 

Dehnen nach sportlichen Belastungen

Dehnt man nach sportlichen Belastungen? Besonders Freizeitsportler sind aufgrund der vielen verschiedenen kursierenden Meinungen zu dieser Frage sehr verunsichert, gibt es doch eine ganz klare und sehr einfache wissenschaftliche Erkenntnis in diesem Bereich: Wer nach dem Sport gerne dehnen möchte, sollte dieses auch tun! Keiner kennt seinen eigenen Körper so gut, wie ein Sportler, niemand horcht so oft und so genau in sich hinein. Oftmals handelt es sich beim Stretching nach dem Sport um eine Sache des körperlichen Wohlbefindens – es fühlt sich für viele Menschen gut an, die beanspruchte Muskulatur nach der Belastung zu dehnen. Somit ist klar, es dehnt nach dem Sport, wer eben dehnen möchte. Dabei zu beachten ist nur folgendes: Entsprechend der vorangegangen Belastung soll gedehnt werden. Das heißt konkret, war das Training sehr intensiv, die Muskulatur ist stark beansprucht, es droht eventuell sogar ein Muskelkater: Alle Dehnübungen, wenn überhaupt, sehr sanft durchführen. Besser ist in diesem Fall nicht zu dehnen, da durch das Stretchen der Muskulatur in der Zeit danach die Durchblutung angeregt wird. Durch intensives Training entstandene Mikrotraumata (kleinste Verletzungen) in der Muskulatur „bluten“ dann mehr und der drohende Muskelkater wird dadurch eher verstärkt. Der sich im Umlauf befindende Mythos, dass Dehnung Muskelkater verhindert, wäre somit beseitigt.

Ansonsten sind, nach einem normalen Training mit durchschnittlicher Belastung, am besten auch hier alle großen Muskelgruppen zu dehnen, wobei die Dehnübung statisch und durchaus ca. 20 Sekunden gehalten werden sollte und, je nach eigenem Empfinden, auch gerne mehrere Wiederholungen erfolgen können. Derartiges Dehnen nach dem Sport und die damit einhergehende Durchblutungssteigerung begünstigt durchaus sowohl den schnelleren Abtransport des sich ggf. angehäuften Laktats (Schadstoffe in Form von Milchsäure), als auch die Entspannung der kontraktilen Elemente der Muskulatur, und kann somit zu einer individuell schneller empfundenen Regeneration beitragen.

 

Langfristiges Dehnungstraining

Ist das individuelle Ziel konkret eine Verbesserung der Beweglichkeit, erreicht man dieses über ein langfristiges Dehnungstraining. Ob solches nun ein Spitzensportler, dessen Sportart eine besondere Beweglichkeit voraussetzt, durchführt, oder ein Freizeitsportler, der langfristig regelmäßig dehnt, um beweglicher zu werden, ist hierbei vollkommen offen. Grundsätzlich ist für ein langfristiges Dehnungstraining charakteristisch, dass es sich mindestens über 4 Wochen erstreckt und aus individuellen, aus dem normalen Training ausgegliederten Stretching-Einheiten, die nur das Dehnen beinhalten, zusammengesetzt ist. Gedehnt wird dabei 2-5 x pro Woche, jeweils mindestens 20 Minuten lang und es existieren verschiedene Dehnmethoden, die sich in der Art der Durchführung unterscheiden. Es lässt sich über ein langfristiges Dehnungstraining einerseits die maximale Bewegungsreichweite verbessern und andererseits, je nach gewählter Dehnmethode, auch das Kraftniveau der Muskulatur erhöhen.

Im dritten und letzten Teil der Artikelreihe „Stretching: Licht ins Dunkel des Dehnens“ wird erläutert, wie genau richtig Stretchen bzw. Dehnen funktioniert.

Euch wünschen wir viel Spaß beim Workout und Stretching.

Über die Autorin Stephanie Inhuber:

  • Sportstudentin an der TU München (Lehramt Gymnasium mit den Fächern Sport und Deutsch)
  • Aktiver Leistungssport: Fußball & Volleyball
  • Sportliche Hobbies: Volleyball, Beachvolleyball, Skifahren, Badminton, Krafttraining
  • Trainerlizenzen: Volleyball & Badminton
  • Größter sportlicher Erfolg: 2000 Deutscher Junioren-Vizemeister im Fußball